Niels und der Seehund

Niels saß auf einem Bootssteg und angelte. Oft konnte er nicht angeln, aber da er nun in den Ferien bei seinen Großeltern an der Ostsee war, hatte er Gelegenheit dazu. Ein paar kleine Fische hatte er schon gefangen. Sie schwammen munter in einem großen Eimer mit frischem Wasser.
Auf einmal kam Bewegung ins bis dahin ruhige Hafenbecken. Das Wasser wurde ganz unruhig. Eine vorwitzige Welle schwappte sogar bis auf den Bootssteg. Woher kamen die Wellen nur? Lange brauchte Niels nicht zu warten, um dieses Rätsel zu lösen, denn bald darauf tauchte ein kleiner Seehund auf und schwamm dichter an den Steg heran. Niels fand ihn ganz niedlich und warf ihm einen gefangenen Fisch zu. Der Seehund schnappte ihn geschickt auf und verschlang ihn. ,,Du hast bestimmt noch mehr Hunger!" rief Niels und wiederholte das Spiel mehrmals, bis er keine Fische mehr im Eimer hatte. ,,So, nun schwimme weiter, ich hab' nichts mehr", rief Niels und winkte dem Seehund zum Abschied. Doch der Seehund schwamm nicht weg. Als er jetzt auch noch mit
menschlicher Stimme zu sprechen anfing, wurde es Niels doch etwas unheimlich zumute. ,,Ich bin kein Seehund, sondern ein verzaubertes Kind, und du kannst mir helfen, mich zurückzuverwandeln! "
,,Wie geht denn das?" fragte Niels aufgeregt. ,,Wir mussen zu einer Insel schwimmen und aus einer Höhle eine schwarze Perle holen", rief der Seehund, ,,dann kann ich zurückverwandelt werden!" ,,Ich weiß gar nicht, wo die Insel liegt," rief Niels, ,,auch kann ich nicht so weit schwimmen!"
,,Ich werde dich führen", sagte der Seehund, ,,und wenn du nicht so weit schwimmen kannst, wird dich vielleicht dein Opa mit dem Boot fahren!"
,,Ich will ihn gleich fragen", rief Niels und packte seine Angelsachen ein. Bald darauf war er verschwunden. Ganz aufgeregt rannte er zuruck zum Haus seiner Großeltern. Sein Opa war gerade im Keller und sprach mit Herrmann, dem Fischer. Niels erzählte, was er erlebt hatte. Zuerst lachte sein Opa ihn aus und wollte die Geschichte nicht glauben, doch Herrmann guckte sehr ernst, nahm noch einen Schluck aus seiner Biernasche und sagte: ,,Das kann wohl angehen, dass die Geschichte stimmt. Vor zwei Jahren ist hier ein Junge verzaubert worden, und seitdem taucht immer wieder der schwarze Seehund auf. Ich habe ihn selbst mehrmals gesehen!"
"Dann wollen wir dem Jungen helfen," sprach Niels Opa, "wir machen das Boot klar und fahren los." Es war noch viel einzupacken. Sie brauchten Essen und Trinken, warme Kleidung und vieles mehr. Zum Schluss holte Niels Opa noch sein großes Fernglas, denn sie wollten alles gut beobachten. Sie verabschiedeten sich von der Oma und machten sich auf den Weg zum Hafen. "Ich komme auch mit", sagte Herrmann, "vielleicht könnt ihr mich brauchen!" Der Seehund erwartete sie schon. Ungeduldig schwamm er im Hafenbecken umher. Bald hatten sie alle Vorräte im Boot verstaut und den Motor gestartet. Dann konnte es losgehen. Der Seehund schwamm vorneweg und Herrmann, Niels und sein Opa folgten mit dem Motorboot. Das Wetter war ruhig und sie kamen schnell voran. Trotzdem waren sie abends immer noch nicht an der Insel. So ankerten sie während der Nachtstunden, um zu schlafen. Der Seehund blieb ganz in der Nähe und ruhte sich aus. Bei Sonnenaufgang sollte es weitergehen.
Endlich war es soweit. Rotgolden ging im Osten die Sonne auf. Sie warfen den Motor an - und schon ging es weiter. Als sie eine Weile gefahren waren, bemerkte Niels die Flosse eines Haifisches, der bald unter dem Boot versteckt friedlich mit ihnen schwamm. Gegen Mittag kam endlich eine Insel in Sicht. Der Seehund klatschte immer wieder mit seinen Flossen und rief: ,,Da ist sie die Perleninsel!" Sie fuhren näher heran und ankerten schließlich im Schutze einer Bucht. Der Seehund kam dicht an das Boot heran und rief: ,,Komm, Niels! Den Rest musst du nun allein machen, ich zeige dir den Weg zur Perlenhöhle!" Das Wasser war nicht tief, so dass Niels zu Fuß an Land gehen konnte. Der Seehund zeigte ihm einen kleinen Berg und sagte: "Da oben, neben dem großen Baum liegt der Eingang zur Höhle. Und irgendwo in dieser Höhle liegt die schwarze Perle versteckt. Bring sie her zu mir! Und nun viel Glück!" Niels winkte noch einmal in Richtung des Bootes. Sein Opa und Herrmann blickten ihm lange nach. Weit war der Weg nicht, aber es machte Muhe, den kleinen aber steilen Berg hochzuklettern Endlich erreichte er den Baum, ohne jedoch den Eingang der Höhle zu entdecken. Auf einmal sah er ihn doch. Er war verborgen von einem kleinen Busch, der sich an den Berg schmiegte. Niels drängte sich an den Zweigen vorbei in die Höhle. Sie war dunkel und roch ein wenig muffig. Schnell schaltete er seine Taschenlampe an, um besser zu sehen. Da wurde er auf einmal von hinten umgestoßen! Als er sich wieder hochrappelte, sah er, dass eine Ziege in der Höhle wohnte und ihn so unfreundlich begrüßte. Gerade rannte sie wieder auf ihn zu, und er musste sich blitzschnell drehen, um nicht von den Hörnern getroffen zu werden. So schnell er konnte verließ Niels die Höhle. "Ich werde warten, bis die Ziege schläft", dachte er sich und setzte sich auf einen Felsen und blickte über die Insel, die unbewohnt war. So saß er eine ganze Weile, bis er einen neuen Versuch unternahm, in die Höhle einzudringen. Diesmal hatte er einen günstigen Zeitpunkt gewählt. Die Ziege lag auf einen Bündel Stroh und schlief. Niels konnte sich vorsichtig an ihr vorbeischleichen. Er traute sich kaum, die Taschenlampe einzuschalten! Wo konnte die schwarze Perle nur sein? Nirgendwo konnte er einen Hinweis entdecken. Der Boden der Höhle war sandig. Sollte die Perle etwa hier versteckt sein? Vorsichtig begann Niels mit seinen Händen im lockeren Sand zu graben. Die Ziege wurde auf einmal ganz unruhig, als würde sie gleich aufwachen. Schnell knipste Niels die Taschenlampe aus. Das Licht sollte ihn nicht verraten. Die Ziege war nun wieder ruhig und Niels konnte weitersuchen. Immer tiefer grub er mit seiner Hand in den lockeren Sand. Endlich spurte er etwas kleines in seiner Hand. Sollte das die Perle sein? Vorsichtig knipste er die Taschenlampe an und hielt den gefundenen Gegenstand ins Licht. Oh weh! Doch nur ein Stein! Ganz enttäuscht wollte er die Suche schon aufgeben, als er auf einmal die schwarze Perle im Sand liegen sah. Da freute er sich, fast wollte er vor Freude schreien! Doch nun musste er erst einmal wieder an der Ziege vorbeikommen, um ins Freie zu gelangen. Die Taschenlampe knipste er aus, um sich nicht zu verraten und tastete sich vorsichtig durch die Höhle. Bald glaubte er, den Ausgang erreicht zu haben, als er mit einem lauten Schrei über die Ziege fiel, die im Weg lag.
Nun musste es schnell gehen! Niels knipste die Taschenlampe an und leuchtete der Ziege in die Augen, so dass sie für einen Moment regungslos stehenblieb. Diesen Moment nutzte Niels und rannte so schnell er konnte aus der Höhle heraus und den Berg hinunter. Bald spürte er, dass die Ziege ihm folgte und ganzdicht hinter ihm war. Er hatte Angst, sich umzudrehen und so rannte er weiter bis ans Wasser. Die schwarze Perle hielt er fest in der Hand. Sein Opa und Herrmann warteten noch im Boot. Nur der Seehund war nicht zu sehen. "Da kommt Niels!" rief Herrmann und winkte aufgeregt. Niels war so schnell gelaufen wie noch nie in seinem Leben. Und genau so schnell rannte er ins Wasser, das nach allen Seiten spritzte. Schon beugte sich sein Opa über die Bordwand, um ihn ins Boot zu ziehen und Niels streckte seine Hände entgegen. Doch bevor er sich an Bord ziehen konnte, trat er in ein tiefes Loch und versank im Wasser. Es erschien ihm, als würde er unendlich tief versinken, bis ihn plötzlich jemand am Kragen packte und wieder an die Wasseroberfläche zog. Da schnappte ihn auch schon sein Opa und zog ihn an Bord. Als Niels das viele Wasser ausgespuckt hatte, wagte er nachzusehen, wer ihn gerettet hatte. Es war der Seehund, der nun munter um das Boot schwamm. "Hast du die schwarze Perle gefunden?" rief er, als er Niels erblickte. Niels erschrak, weil er dachte, die Perle wäre verloren gegangen. Doch er bemerkte, dass er seine Hand noch immer fest verschlossen hielt. Als er sie öffnete, sah er die schwarze Perle, die im Sonnenlicht ein wenig glänzte. "Hier ist sie!" rief Niels und hielt sie dem Seehund hin.
Dieser sprang mit einem riesigen Satz aus dem Wasser, als wollte er ins Boot springen. Mit seiner Nasenspitze stieß er die Perle aus Niels Hand, so dass sie ins Wasser plumpste und in den Fluten versank! Dabei murmelte er einen merkwürdigen Zauberspruch. Niels konnte die Sache nicht verstehen. Warum nur hatte der Seehund die Perle ins Meer geworfen?
Nun war er auch noch verschwunden. War es nicht die richtige Perle gewesen? Er tauchte auch nicht wieder auf.
Die Wellen bewegten sich ganz komisch und schließlich tauchte aus den Fluten ein kleiner Junge auf, der genau so alt wie Niels war! Schnell zogen sie ihn ins Boot und er fiel ihnen in die Arme. "Habt Dank, habt Dank!" rief er immer wieder, "ihr habt mich gerettet! Der Zauber ist vorbei." Nachdem die beiden Jungs trockene Anziehsachen angezogen hatten, sollte es wieder losgehen, sie wollten nach Hause! Schnell wurde der Motor gestartet. Niels durfte den Anker hochziehen, und schon konnte es losgehen. Mit dem Fernglas guckten sie noch einmal hinüber zur Insel, die ganz ruhig dalag.
Von der Ziege war nichts zu sehen. Alle waren froh, dass sie das Abenteuer gut überstanden hatten, besonders Niels, der immer wieder an die Ziege und den Sturz in das Wasserloch zurückdenken musste. Sie hatten eine gute Fahrt und gelangten schließlich wieder in den Hafen von Schausende. Niels Oma hatte schon lange am Steg auf sie gewartet. Schnell gingen sie nach Hause, um die Eltern des geretteten Jungen anzurufen. Ich kann euch gar nicht sagen, wie die sich gefreut haben! Von ihnen haben wir auch erfahren, dass der Junge Jan hieß, denn er hatte seinen eigenen Namen durch die Zauberei ganz vergessen! Und wenn ihr einmal nach Schausende bei Glücksburg kommt, dann fragt doch einmal nach Herrmann, dem Fischer, Jan, Niels und seinen Opa. Vielleicht werden sie euch die Geschichte gern selbst erzählen.

Osterhasen basteln 

Anne-Mette Gerdsen

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