Weihnachten mit dem Motorrad

Kaum war ich aus seinem Auto ausgestiegen, da war ich auch schon nass. Der Regen wehte mir ins Gesicht. Das machte mir noch schlechtere Laune.
Regen im Dezember - kurz vor Weihnachten wollte ich noch eine unangenehme Sache abschließen und dann in die Sonne fliegen.
"Na, jedenfalls pünktlich sind sie", dachte ich, als ich einen alten zerbeulten und rostigen Ford Transit vor dem Haus meines Vaters stehen sah.

Das Fenster auf der Beifahrerseite war ein kleines Stück heruntergekurbelt und dichte Rauchschwaden quollen heraus.
Mit einem nach Öl schreienden Quietschen wurden die beiden Türen des Transits aufgerissen. Zwei Männer stiegen aus und warfen ihre Kippen auf die Straße. Es zischte - die Kippen waren verloschen, bevor die Männer sie gewohnheitsmäßig austreten konnten.
"Es kann losgehen", sagte ich, ohne die Männer großartig zu begrüßen. Wir wandten uns dem kleinen Haus zu.
Ich zog ein Schlüsselbund aus meiner Manteltasche und schloss das Gartentor auf. Das Schloss klemmte ein wenig. Es war längere Zeit nicht benutzt worden.
Wir gingen durch den Garten. Die beiden Männer folgten mir schweigend.
Die Nachbarhäuser waren mit allerlei Weihnachtsschmuck ausstaffiert; in vielen Fenstern brannten Lichterbögen.
Wir erreichten die Haustüre des kleinen Hauses. Ich schloss auf und ging voraus. Es war kalt, unbeheizt und roch etwas moderig.
"Es ist doch klar", sagte ich zu den Männern, "alles geht raus. Besenrein ist besenrein!"

Der ältere der Beiden, ein Riese von fast zwei Metern, fragte mich "soll wirklich alles raus, von den Sachen wollen Sie nichts mehr haben?"

Ich überlegte kurz. Einige Male war ich schon hier gewesen, seit mein Vater in eine kleine Wohnung gezogen war. Die wenigen Dinge, die ich haben wollte, hatte ich schon längst mitgenommen.
"Wir gehen lieber noch einmal alles durch, bevor Sie uns die Schlüssel geben", sagte der Riese zögerlich.
Na gut, auf die paar Minuten kam es nun auch nicht mehr an.
Wir gingen durch die Räume, blieben hier und da stehen. Sehr begeistert sahen die Entrümpler nicht aus. Antiquitäten waren hier nicht vorhanden. Sehr schnell hatten wir das ganze Haus vom Keller bis zum Dachboden inspiziert. Ich fand nichts mehr, was ich brauchen konnte.

"Und die Garage?" fragte der zweite Entrümpler, der bisher außer einem knappen "Moin" noch nichts gesagt hatte.
Ja, die Garage wird wohl leer sein. Trotzdem wollte ich mich davon überzeugen. Wir gingen hinaus und standen vor dem Garagentor. Mist, den Garagenschlüssel hatte ich nicht dabei.
Aber es gab noch einen Zugang von hinten durch den Garten. Die kleine Tür war meistens nicht verschlossen.
Das nasse Gras patschte unter unseren Füßen. Endlich erreichten wir die kleine Tür und waren froh, dass sie nicht verschlossen war. Inzwischen regnete es noch stärker.
Die Leuchtstoffröhre flackerte erst ein wenig, dann zeigte ihr heller Schein, dass die Garage nicht ganz leer war. Die Werkbank war zwar aufgeräumt, aber die halb herausstehenden Schubladen zeigten, dass sich noch eine Menge Werkzeuge hier befanden.

"Die Garage lassen Sie bitte so wie sie ist", sagte ich zu den beiden Männern, "im Haus ist alles klar, Sie können anfangen. Morgen bis 18 Uhr ist alles raus, dann kommen Sie zu mir ins Büro und bringen mir die Schlüssel - und bekommen das vereinbarte Geld."

Die Männer machten auf einmal ein entschlossenes Gesicht. Der eine holte sein Handy aus der Innentasche und beorderte einen zweiten Wagen herbei. Dann gingen die Männer in das Haus.
Ich blieb noch ein wenig in der Garage stehen. Hier war er lange nicht gewesen. Mit meinem Vater hatte ich mich in den letzten Jahren nicht besonders gut verstanden.
Trotzdem fühlte ich mich in der Garage noch seltsam berührt, es roch ein wenig nach Benzin.
Ich erinnerte mich an frühe Bastelerfahrungen, an mein erstes Moped, ein Zündapp Mokick.

Vielleicht stand der alte Rasenmäher noch in der Ecke?
Tatsächlich war dort etwas mit einer Militärplane abgedeckt, aber für einen Rasenmäher war es zu groß. Erst zaghaft - schließlich wollte ich mir nicht die Fingernägel abbrechen - dann fester zog ich an der Plane, aber sie war zu schwer. So musste ich sie anheben und nach hinten zurückschlagen.
Da stand - nein, kein Rasenmäher, sondern eine alte BMW. MEINE alte BMW, eine 250er
R 26. Dass mein Vater die aufgehoben hatte!

Sie sah noch aus wie vor vielen Jahren, als meine Eltern und ich noch auf Sylt wohnten und ich damit auf der Insel herumgeknattert war. Der Zündschlüssel, es war ja eigentlich mehr ein Zündnagel, steckte. Wie war es noch einmal? Ganz hineinstecken, dann müssten die Kontroll-Lampen für Leerlauf und Lichtmaschine angehen. Es tat sich aber nichts. Ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie ich das defekte Originalschloss gegen ein Trecker-Zündschloss ausgewechselt hatte.

Dunkel konnte ich mich noch daran erinnern: die Batterie befand sich in einem Seitenfach unter der Sitzbank. Um an das Batteriefach heranzukommen musste ich einen Schraubendreher holen. Schnell war die Halteschraube entfernt. Aber große Enttäuschung: das Batteriefach war leer.
Man müsste die Maschine doch auch mit einer Autobatterie starten können?
Ob noch Benzin im Tank war? Nein - der Tank war knochentrocken. Aber der Kanister mit dem Rasenmäherbenzin war noch da. Ob ich es versuchen sollte? Schnell schraubte ich die Tülle auf den Plastikkanister und goss das Benzin in den Motorradtank, in dem es gluckernd verschwand. Nun die Batterie aus dem Auto geholt. Nein - halt! Das Auto hat ein 12 Volt Stromnetz - die BMW doch nur eine 6 Volt Lichtmaschine! Und nun? Eine 6 Volt Batterie musste her. Das dürfte so kurz vor Weihnachten wohl nicht so einfach sein. Auch waren 6 Volt Batterien nicht mehr so recht in Mode.
Das Handy piepte. "Ja, ich komme". Natürlich hatte ich den Termin nicht vergessen.
Trotzdem ging ich noch einmal kurz ins Haus und sagte den Arbeitern, dass sie aus dem Haus alles mitnehmen konnte, in der Garage aber alles bleiben sollte.
Dann saß ich auch schon im Auto und war unterwegs zur Firma.
Meinen Termin handelte ich routiniert und leidenschaftslos ab. Immer wieder musste ich an das Motorrad und an die alten Zeiten denken.
"Ich bedanke mich für den Auftrag und wünsche Ihnen frohe Feiertage. Gleich am 2. Januar fangen wir an" - hörte ich mich sagen. Kurzes Händeschütteln, dann war der Kunde auch schon wieder draußen. Ich freute mich, gleich im neuen Jahr schon wieder einen Anschlussauftrag zu haben.

Es war schon dunkel, aber erst kurz nach vier. Ich blätterte im Telefonbuch. Wie hieß der örtliche Motorradfritze noch einmal? Richtig: M ... Mangelsen, Hokawazuki Vertretung. Ich wählte die Nummer. Es dauerte lange, bis sich jemand meldete. "Eine 6 Volt Batterie? Machen Sie Witze?" Nein, bestellen könnte man auch keine 6 Volt Batterie für ein Motorrad. "Schließlich sind wir Hokawazuki-Händler".

Auf sein Entgegenhalten, dass es sicherlich auch Hokawazuki Motorräder mit 6 Volt Lichtanlagen gibt, wurde schon nicht mehr geantwortet.
Das Batterieproblem ließ mir keine Ruhe. Es klopfte. "Ich gehe dann" - die Reinigungskraft wartete auf mein OK. "Ja, tschüß und schönen Feierabend". Sie ging. Alle anderen waren auch schon fort. Eigentlich hatte ich auch nichts mehr zu tun. ... höchstens noch die Taxiquittungen sortieren.

Also ab nach Hause.
Am Bahnhof kurz gehalten. Am Kiosk gibt's doch immer so viele Zeitschriften. Wie hieß die eine doch noch, in denen ich früher immer die Testberichte von Klacks verschlungen hatte? Motorrad - ob es die noch gab? Natürlich gab es die noch. Etwas teurer geworden, aber immerhin. "Morgen kommt erst die neue", sagte die Verkäuferin. "Ist schon gut", entgegnete ich und bezahlte, "die ist mir schon ganz recht".

Schnell erreiche ich meine Wohnung. Endlich Feierabend! Ich warf die Kaffeemaschine an und ließ mich in den Sessel fallen. Ich überflog die Artikel in der Motorradzeitschrift - und war enttäuscht. Alles so modern - wie von einem anderen Stern. Umdrehungszahlen bis
14 000, PS ohne Ende.

Nun fiel mir ein, warum ich die Zeitschrift gekauft hatte: wegen der Anzeigen. Tatsächlich gab es im hinteren Teil der Zeitschrift einen riesigen Anzeigenmarkt. Und hier fand ich, was ich suchte: "Batterien für fast alle Motorräder". Ob die noch arbeiten?
Ich wählte die Nummer und war überrascht, als schon nach dem zweiten Klingeln der Hörer abgenommen wurde. Natürlich waren auch 6 Volt Batterien vorrätig. Er erkundigte sich nach Versandmöglichkeiten. Dann sah ich, dass das Geschäft gar nicht so weit entfernt war.

"Haben Sie morgen noch geöffnet?" fragte ich. "Ja, aber nur bis 15 Uhr im Winter", sagte der Mann. Ich bedankte sich, wünschte noch einen schönen Abend und legte auf.
Das sind nur 60 Kilometer, das kann ich eigentlich gut mit dem Termin morgen verbinden, dachte ich mir. Ich wollte auch nur bis mittags arbeiten. ..
Der Termin am nächsten Morgen war schnell abgehandelt. Dann machte ich mich auf den Weg, um die Batterie zu kaufen. Es war ein kleines Geschäft, aber es machte einen aufgeräumten und professionellen Eindruck. "Ich mache Ihnen die Batterie gleich fertig", sagte der Mann, "dann kann der Junior mit seinem Weihnachtsgeschenk gleich starten".
"Die Batterie ist für mich selbst", sagte ich und erzählte nach und nach die ganze Geschichte.
"Und was ist mit TÜV?" fragte der Mann. "Weiß ich nicht, muss man sehen," antwortete ich.
Dann war die Batterie fertig. War gar nicht so teuer.
Da ich keine weiteren festen Termine hatte, fuhr ich noch einmal im Haus meines Vaters vorbei.
Die Entrümpler waren noch am Arbeiten, aber ein kurzer Blick ins Haus zeigte, dass sie schon weit gekommen waren.
Aber das wollte ich nicht kontrollieren. Deshalb ging ich sehr zügig in die Garage. Ich stellte die Batterie in das Batteriefach der Maschine und friemelte die Kabel an die Pole. Schon früher hatte ich mich oft darüber geärgert: das eine Kabel schien zur immer kurz zu sein - aber irgendwie ging es dann doch.

Nun steckte ich den Zündschlüssel ganz in das Zündschloss. Tatsächlich gingen die beiden Kontrolllampen an, eine zeigte den Leerlauf, die andere war die Ladekontrolle.
Wie war es noch einmal? Benzinhahn auf, Vergaser fluten mit dem kleinen Pinn auf dem Schwimmergehäuse. Ein paar Tropfen Benzin tropften auf das Motorgehäuse.

Den Kickstarter ausgeklappt, kurz etwas heruntergetreten, bis ich den Widerstand spürte des verdichteten Gemisches spürte, dann den Starter wieder nach oben schnellen lassen, dann ein beherzter Tritt - und - nichts tat sich.
Also noch einmal, diesmal mit etwas mehr Schwung. Immer noch nichts.
Noch einmal. Immer noch nichts. Aus dem Bordwerkzeug, das sich in einem kleinen Fach oben auf dem Tank befand, entnahm ich den Zündkerzenschlüssel und schraubte die Kerze heraus. Sie war feucht und nicht besonders sauber.
Mit einem Lappen, den ich auf der Werkbank fand, säuberte ich die Kerze und trocknete sie.
Ich prüfte sie im Licht und war noch nicht ganz zufrieden. In einer Halterung an der Werkbank befanden sich etliche Drahtbürsten, sogar eine mit feinem Kupferdraht war dabei. Mit der setze ich mein Putzen fort. Dann schraubte ich sie mit der Hand in den Zylinderkopf, ohne sie dem Kerzenschlüssel ganz festzuziehen.

Dann noch ein Startversuch. Mit Kraft trat ich den Kickstarter gegen den Verdichtungswiderstand. Und - ja, sie wollte fast anspringen. Also noch einmal. Ich stellte mich so an die Maschine, dass ich den Gasdrehgriff fassen konnte. Und beim nächsten Startversuch spielte ich ein wenig mit der Gasstellung. Tatsächlich sprang die Maschine an, erst zögernd und schnaufend, dann immer bereitwilliger. In der ihr gewohnten Art vibrierte die Maschine so stark, dass das Werkzeug im Fach im Tank sich anhörte, als würde man einen Blechdose mit Schrauben oder Nägeln schütteln. Richtig: hier fehlte der Lappen, den ich immer zur Geräuschdämpfung mit in das Fach steckte. An der schlechten Luft in der Garage merkte ich, dass es bei aller Begeisterung höchste Zeit war, für Lüftung zu sorgen. Ich entsperrte das Schloss und öffnete von innen das Garagentor.

Ich drehte am Zündschlüssel: Standlicht - Fahrlicht - alles funktionierte. Auch eine kurze Kontrolle der hinteren Leuchten ergaben keinen offensichtlichen Mangel: Bremslicht und Rücklicht in Ordnung.

Ich wuchtete die Maschine vom Ständer. Sie war ganz schön schwer. Schon lange hatte ich kein Motorrad mehr gehalten. Ob ich eine kleine Runde drehe? Nur die Straße einmal rauf und runter? Natürlich war die Maschine nicht mehr zugelassen und hatte keinen TÜV mehr. Ein Nummernschild hatte sie zwar noch, aber es fehlen die entscheidenden Stempel.
Trotzdem: ein Versuch würde nichts schaden.
Rückwärts schob ich die Maschine aus der Garage. Auf dem Vorplatz drehte ich sie um. Wie war es noch einmal? Erster Gang...
Ich trat den Schalthebel zögerlich nach unten, nachdem ich den Kupplungshebel gezogen hatte.
Krachend rastete der erste Gang ein. Etwas Gas geben, Kupplung kommen lassen und - putt putt putt. War wohl doch etwas zu wenig Gas. Also neu starten. Diesmal sprang die Maschine sofort an.
Etwas mehr Gas gegeben beim Anfahren - und schon ging es los. Ein paar Häuser weiter war eine kleine Autowerkstatt. "TÜVABNAHME im Hause" las ich im Vorbeifahren.

Ich wendete und fuhr das kleine Stück zurück. Vor der Werkstatt hielt ich und machte den Motor aus. In der kleinen Halle war noch jemand am Arbeiten. So wuchtete ich die Maschine auf den Ständer und ging hinein. "Morgen ist nochmal TÜV", sagte der Meister "und dann erst wieder im neuen Jahr. Lassen Sie mich das gute Stück mal ansehen!"
Der Mechaniker wischte sich die Hände ab und ging mit vor die Tür.
"Mit den Reifen werden Sie kein Glück mehr haben", sagte er nach einem kurzen Blick auf die rissig gewordenen Pneus. Dann fasst er hier an, bewegte dort etwas, zog am Bremshebel, prüfte die Fußbremse und schaltete das Licht durch. "Besorgen Sie neue Reifen - und einen alten Gürtel", sagte er, "dann kann das mit dem TÜV etwas werden".

"Einen alten Gürtel?" Ich dachte, er wollte mich verkohlen. "Ja, der ist für die Sitzbank. Für den Sozius ist eine Haltevorrichtung vorgeschrieben!" Der Mann kannte sich aus.
Wo sollte ich nun die Reifen herbekommen? Mir fiel die kleine Motorradwerkstatt ein, in der ich die Batterie gekauft hatte. Den Kassenbeleg hatte ich noch in der Brieftasche.

3.25-18 las ich vom Hinterreifen ab.
Ich wählte die Nummer des Motorradladens. Der Besitzer erkannte mich gleich an der Stimme. "Ja, zwei passende Reifen habe ich noch", sagte er, "hat einer nicht abgeholt, der sie schon vor längerer Zeit bestellt hatte". Glück gehabt. "Wie lange sind Sie noch da?"

"Ich mache gleich Feierabend, wohne aber im Haus. Wenn Sie kommen und laut klopfen, mache ich Ihnen auf und sie können die Reifen bekommen".
Das Motorrad lies ich gleich in der Werkstatt stehen. Der Meister wollte auf mich und die Reifen warten. Also schnell zum Auto. Vorher noch einmal schnell nach den Entrümplern gesehen. Die hatten noch zu tun, also sprach nichts dagegen, schnell die Reifen zu holen.

Ich kam zügig durch und es klappte gut mit den Reifen. Sie waren nicht einmal besonders teuer. Naja, ich bekam diesmal auch keine Quittung, aber schnell war ich wieder im Auto und auf dem Rückweg.
In der kleinen Autowerkstatt war noch Licht. Der Meister hatte Wort gehalten und auf mich gewartet. Die Maschine stand schon in der Halle. "Ist gar nicht so schlimm", sagte der Meister, "die Maschine ist wohl gut gepflegt worden. Dann mal her mit den Reifen".

"Ach ja, der war in dem kleinen Fach unter der Sitzbank", er reichte mir den KFZ-Brief, natürlich lange abgelaufen. Nur 3 Besitzer waren eingetragen. Ich war der letzte. Die Abmeldung war fast 30 Jahre her.
Ich fragte den Werkstattmann, was die Tüv-Vorbereitung kosten würde. Trotz der fälligen Vollabnahme fand ich den Preis, den er nannte, akzeptabel. "Kommen Sie morgen gegen 11", sagte er, "dann ist der TÜV hier. ...und vergessen Sie ja den Gürtel nicht".

Ich verabschiedete mich und fuhr ins Geschäft. Es dauerte nicht lange, dann kamen die Entrümpler und brachten mir den Schlüssel. Sie bekamen das verabredete Geld und zogen zufrieden vom Hof.
Ich erledigte noch einigen Schreibkram, dann machte ich Feierabend. Zu Hause suchte ich zuerst einen alten Gürtel. Ich wählte einen alten Ledergürtel, der "eingelaufen" war, jedenfalls passte er mir schon seit ein paar Jahren nicht mehr.

Als ich in meinem Sessel bei einem Glas Wein den Feierabend genoss, schweiften meine Gedanken in die Vergangenheit. Ich dachte an die alten Zeiten auf Sylt, mein erstes Motorrad, meine Freunde, mit denen ich über die Insel fuhr.
Irgendwo mussten doch noch ein paar der alten Fotos sein? Ich fand sie. Pfingsten 1975 - Motorradtour. Wer waren die langhaarigen Hippies auf dem Foto?

Pfingstausflug in den 70er Jahren

Nach und nach fiel mir das wieder ein.
Einige von ihnen lebten immer noch auf der Insel. Die müsste ich mal wieder besuchen!
Die würden Augen machen, wenn ich mit dem Motorrad komme.
Aber wer fährt schon im Winter Motorrad - und dann noch so eine weite Strecke?
Eigentlich wollte ich ja auch lieber in die Sonne fliegen. ... aber andererseits...
Vielleicht würde ich auf der Insel noch ein Zimmer bekommen?
Fast spaßeshalber suchte ich im Internet nach einer Zimmervermittlung. Ob ich mal anrufe?
Es ist bestimmt keiner mehr im Büro.
Ein Anruf überzeugte mich vom Gegenteil. Ich kam mit der netten Dame ins Gespräch und schon hörte ich mich sagen: "ist gut, ich nehme das Zimmer für eine Woche. Ich komme am 24. Dezember".
Ich erhielt die Adresse und die Dame versprach, die Buchungsbestätigung per Email zu schicken.
Was sollte ich mitten im Winter auf Sylt? Und mit dem Motorrad konnte ich schon gar nicht so weit fahren...
Aber wie wäre es mit einer Kombi-Fahrt? Meine Firma hatte immer zwischen Weihnachten und Neujahr geschlossen. Der Firmenwagen, ein alter Kastenwagen wurde nicht gebraucht.
Mit dem würde ich das Motorrad ohne Anstrengung bis in den hohen Norden schaffen können. Und dann den Lastwagen auf dem Festland stehen lassen und mit dem Motorrad mit Fähre oder Zug auf die Insel. Und das Gepäck? Das konnte ich vorher mit dem Paketdienst auf die Insel schicken.
So packte ich ein größeres Paket mit meinen Sachen, um es am nächsten Tag per Express auf die Insel zu schicken. Wie gut, dass ich die Adresse meiner Vermieter schon hatte.
Ich rief sie kurz an und bat sie, das Paket für mich in Empfang zu nehmen.

Die Nacht war unruhig. Ich träumte vom Motorradfahren. Mir begegneten meine alten Freunde. Dann geriet ich mit der BMW in eine Polizeikontrolle. Der Polizist bemängelte, dass ich keinen Helm trug und keine angemessene Motorradbekleidung. Ein Schlafanzug wäre für ein Motorrad dieser Größenordnung wohl kaum eine geeignete Schutzkleidung. Auch sei der TÜV seit 29 Jahren abgelaufen. "Das wird teuer", brummelte er, "außerdem muss ich bei so einem eklatanten Verstoß die Polizeisirene einschalten." Die Sirene machte einen Höllenlärm, so dass viele Menschen aus den Häusern strömten und bald im Halbkreis um mich und meine Maschine herumstanden. "TÜV TÜV TÜV" riefen sie immer und immer wieder.

Dann wachte ich schweißgebadet auf. Das Rufen hatte ein Ende; die Sirene noch nicht. Es war mein Wecker gewesen, der mir das Ende der Nacht verkünden wollte.
Nach einem kurzen Frühstück war ich schnell in der Firma. Es waren nur noch einige Aufräumarbeiten zu erledigen. Die anderen Mitarbeiter hatten schon frei. Ich führte noch einige Telefonate.
Da fiele mir ein, dass ich das Motorrad ja noch bei der Zulassungsstelle anmelden musste.
Also dort angerufen. "Ja, bis 13 Uhr habe wir heute auf. Vergessen Sie nicht die Versicherungs-Doppelkarte, den Brief, die Abmeldebestätigung, und den aktuellen Tüvbericht". Im Hintergrund "Oh Du Fröhliche".

War das alles bis 13 Uhr zu schaffen?
Die Versicherungskarte war kein Problem. Der Vertreter hatte ganz in der Nähe sein Büro und wollte mir die Karte sofort vorbeibringen. Es dauerte auch nicht lange, bis er mit der Karte in der Hand vor mir stand. Er hatte sogar an eine zweite Karte gedacht: "Falls Du dich verschreibst."
Langsam war es Zeit, in die Werkstatt zu fahren. Der Tüvmann schrieb schon seinen Bericht. Alles soweit in Ordnung. "Den Schweinwerferreflektor sollten Sie im Auge behalten", gab er mir noch mit auf den Weg. Dann gab er mir die Bescheinigung: ohne erkennbare Mängel.

Ich bezahlte die Gebühren und auch den Mechaniker. Ich konnte nicht meckern. Er hatte gut und günstig gearbeitet, sogar noch einen Ölwechsel gemacht. Unter Aufsicht des Tüvmitarbeiters musste ich noch den alten Gürtel als Halteriemen für den Sozius an der Sitzbank befestigen.
Die Zeit war nun doch verflogen. Kurz vor 12. Ob ich es noch rechtzeitig zur Zulassungsstelle schaffen konnte? Probieren geht über Studieren. Das Motorrad ließ ich in der Werkstatt stehen, um es später abzuholen.
Als ich die Zulassungsstelle erreichte, war es schon halb eins. Ich war der einzige Kunde. Da die Leute wohl gleich Feierabend machen wollten, wurde ich schnell abgefertigt. "Wollen Sie ein Wunschkennzeichen?" Eigentlich nicht, aber es sollte nicht so groß sein. "Also doch ein Wunschkennzeichen!" Die Mitarbeiterin schrieb mir den Zettel für den Schildermacher und empfahl mir, mich zu beeilen. Voreher klärte sie mich noch über die Extragebühr für das Wunschkennzeichen auf. Im Laufschritt ging ich hinüber zum Schildermacher. Auch hier war ich der einzige Kunde. Es ist doch erstaunlich, wie schnell so ein Schild fertig ist.

Wenige Minuten vor eins war ich wieder bei der Sachbearbeiterin - die mir mein Nummernschild abnahm. "Gehen Sie an die Kasse und bezahlen Sie, dort bekommen Sie das Schild und die Papiere. Fröhliche Weihnachten!"

"Ja, frohe Weihnachten und guten Rutsch" entgegnete ich. Wenige Minuten später stand ich an der Kasse und bezahlte. Stolz prangten die beiden Plaketten auf dem neuen Schild.

Als ich das Haus verließ, hörte ich, dass jemand hinter mir abschloss. Ich war wirklich der letzte Kunde.
Auf dem Weg zur Werkstatt kam ich an einem Laden für Motorradbekleidung vorbei - wohl mer ein Supermarkt als ein Fachgeschäft. Sollte ich da mal reinschauen und mir selbst etwas zu Weihnachten schenken? Einen Helm, Handschuhe und eine Jacke brauchte ich auf jeden Fall. Eine lederne Hose wäre auch nicht schlecht.
Im Laden dudelte Weihnachtsmusik. Eine gelangweilte Verkäuferin blickte kaum auf, als ich den Laden betrat. So hatte ich Zeit, mir alles in Ruhe anzusehen. Ich probierte einige Helme, Jacken und Hosen, bis ich dann die gewählten Sachen in den Einkaufswagen legte. Halt, fast die Handschuhe vergessen. Selbst beim Kassieren blickte die Verkäuferin kaum auf.
"Frohe Weihnachten", wünschte ich. "Du mich auch!" antwortete sie missmutig und kaugummikauend.
Für die paar Sachen kam in hübsches Sümmchen zusammen.

Nun war es Zeit, die Maschine aus der Werkstatt zu holen. Wie gut, dass das Paket mit meinen Sachen schon unterwegs auf die Insel war.
Ich brachte das Auto nach Hause und ging zu Fuß zur Werkstatt, die nicht besonders weit entfernt war. Ich kam mir etwas albern vor in den Motorradklamotten. Dazu trug ich meine Winterstiefel. Ich ging etwas steifbeinig. Hätte ich die Hose vielleicht doch eine Nummer weiter wählen sollen? Egal, wird sich schon einlaufen.
Mit meinem Nummernschild stand ich vor der Werkstatt. Der Mechaniker hatte mich schon gesehen und öffnete mir die Tür. "Ich helfen Ihnen eben mit der Nummernschildbefestigung" sagte er, hielt das Schild an die Maschine, zeichnete kurz an und verschwand dann in die hintere Ecke der Werkstatt, wo eine große Standbohrmaschine stand. Wenige Augenblicke später stand er wieder vor mir mit dem Schild und Schrauben und Muttern. "Das müsste passen". Es passte.

Ich bedankte mich und setzte den Helm auf. Einige beherzte Tritte auf den Starter - und die Maschine lief. Erst einmal eine kleine Runde drehen, also ab zur Tanke. Schön, dass es trocken war. Wie kalt doch trotzdem zwei Grad plus sein können!
Ich tankte voll. Dann fuhr ich mit dem Motorrad in die Firma. Es war Zeit, den Firmenwagen zu holen. Ich ging nach oben und holte mir Schlüssel und Papiere.
Unser Hausmeister hatte Wort gehalten und mir ein stabiles Brett neben die Wagen gelegt, so dass ich eine geeignete Rampe hatte, dass Motorrad in den Laderaum zu schieben.
Ich bockte es auf und sicherte den Stand mit einigen Haltegurten. Zuletzt schob ich das Brett ganz hinein und verschloss den Laderaum.
Ich war gerüstet.
Noch nicht ganz. Einige Vorbereitungen musste ich noch treffen.
Ich packte einen Rucksack mit notwenigen Sachen, die ich brauchen würde, wenn mein Paket nicht rechtzeitig kommen würde.
Früh ging ich schlafen, wollte ich doch am nächsten Morgen sehr früh aufbrechen.

Nach dem Frühstück ging es gleich los. Der Tank war voll und nach einer kurzen Phase ging der Motor des Kastenwagens in beruhigendes Brummen über. Ich hing meinen Gedanken nach.

Eine kleine Aufmunterung konnte ich brauchen. Etwas Musik?
Im Radio gab's im Moment nur Weihnachtsmusik, danach stand mir im Moment nicht der Sinn. Aber ich hatte mir einige CDs mitgenommen. Auf dem Beifahrersitz stand mein Radio mit CDspieler, das eigentlich in meine Küche gehörte, aber manchmal für unterwegs zweckentfremdet wurde.
"In der Festhalle in Frankfurt - Ten Years After", das war schon eher nach meinem Geschmack. Ich drehte gleich etwas lauter.
"Going Home" - das Konzert stürmte dem Finale zu.
Going-Home wie passend.
Nur noch wenige Kilometer bis Flensburg. Dann ging es auch schon über die Grenze nach Dänemark. Ich musste mich beeilen, um die letzte Fähre nach Sylt noch zu erreichen.
- aber nicht zu sehr. Die Dänen achten sehr darauf, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung eingehalten wird.
Ich kam gut voran. Als ich Röm erreichte, hatte die ich doch ein merkwürdiges Gefühl.
Heimat und doch keine Heimat.
Ein Blick über die Hafenmauer zeigte, dass ich noch Zeit genug hatte. Die Fähre war noch recht weit entfernt, hatte wohl Verspätung.
So konnte ich mich anziehen und das Motorrad aus dem Lieferwagen holen.
Ich schnallte den Rucksack auf den Rücken. Ich verschloss das Auto und schob das Motorrad hinüber zur Warteschlange. Die Fähre legte an. Nur wenige Autos verließen den Bauch des Schiffes.
Die Warteschlagen löste sich auf: ein Motor nach dem nächsten wurde gestartet und die Autofahrer fuhren über die Brücke in die Fähre hinein. Ich machte mir nicht die Mühe, extra den Motor zu starten, sondern schob das Motorrad.
Steile Stufen führten hinauf in den Gastraum. Ich nutzte die Möglichkeit, eine Kleinigkeit zu essen.
Die Zeit verging wie im Fluge. Bald hatte wir Sylt erreicht. Die Fahrzeugführer wurden aufgefordert, ihre Fahrzeuge aufzusuchen. Ich folgte den anderen.
Als die Fähre fertig angelegt hatte, wurde das Tor geöffnet und die ersten Autos konnten das Schiff verlassen. Ich stand ganz hinten und hatte Zeit, mich anzuziehen und das Motorrad zu starten. Die Autofahrt hatte der Maschine nicht geschadet. Beim dritten Tritt sprang sie an. Vorsichtig fuhr ich über die schmierige Brücke und war froh, draußen auf der Straße zu sein.

Auf geht's! Wie war das noch einmal? Nach Links - und dann Richtung Westerland.
Zuerst wollte ich mein Quartier aufsuchen. Es war nicht schwer zu finden. Ein nettes Zimmer erwartete mich. Mein Paket war auch schon angekommen.
Im Zimmer befand sich allerlei Material über die Insel, so auch ein Plan über Veranstaltungen, den ich mit Interesse betrachtete. Vielleicht fand ich ein schönes Konzert?
Was wollte ich eigentlich auf der Insel? War der ganze Plan nicht eine Schnapsidee?
Gottesdienst in Keitum - 14 Uhr 30, 16 Uhr, 17 Uhr 30, 23 Uhr - konnte ich lesen.
Meine Gedanken schweiften ab - flogen in die Vergangenheit, ließen mich die Weihnachten meiner Kindheit und Jugend fühlen.
16 Uhr, das konnte ich schaffen. Also wieder angezogen und das Motorrad gestartet. Es war nicht weit. Obwohl nicht einmal Frost war, kam es mir sehr kalt vor. Nun musste die Kurve an der Sandkuhle kommen - ja tatsächlich, es hatte sich nicht viel geändert. Recht vorsichtig ging ich in die Kurve. Früher lag hier immer viel Sand.
Noch ein kurzes Stück, dann ging es nach Munkmarsch hinunter. Hier hatte ich damals gewohnt. In der Ferne konnte ich die Keitumer Bucht und die Kirche sehen. Ich fuhr durch das Dorf. Ob ich wohl noch jemanden kennen würde? Von den Häusern erkannte ich fast keines mehr. Viele nachgemachte Friesenhäuser waren hinzugekommen.
Oben eine fast rechtwinklige Kurve, dann lag der Ort auch schon hinter mir. Ich gab etwas mehr Gas; der Motor dröhnte und schüttelte sich.
Das war sie schon - die Keitumer Kirche. Natürlich standen keine weiteren Motorräder auf dem Parkplatz.
Die Kirche war voll. Viele Familien mit Kindern, festlich gekleidet saßen auf den harten Kirchenbänken. Ich fiel wohl etwas aus dem Rahmen mit meiner Lederjacke. So oft ich in die Runde blickte, konnte ich jedoch keinen erkennen, den ich von früher kannte. Auch mich schien keiner zu erkennen.
Der Gottesdienst war festlich und gut ausgestaltet. Ein Chor sang. Alles sehr beeindruckend. Mir fehlte aber ein wenig das Gefühl; alles war fast perfekt.
Nicht wie früher - mit unserem alten Pastor.
Der Gottesdienst zog sich in die Länge. Die Kinder wurden unruhig.
Dann folgte endlich das Orgelnachspiel. Alle gingen hinaus.
Was sollte ich nun machen? Wieder in mein Ferienquartier fahren? Irgendwo etwas essen?

Oder?...
Nicht weit von hier müsste eigentlich ein Kumpel aus alten Zeiten wohnen. Ob es ihn noch gab? Wie mochte er heute wohnen? Früher hatte wir uns oft gesehen, waren mit unseren Maschinen über die Insel gefahren, hatten Musik gehört und so manchen Spaß gehabt.
Naja, aber heute ist Heiligabend, kann man an solch einem Tag einfach jemanden überfallen?
Warum eigentlich nicht, ich wollte es einfach versuchen.
Es dauerte nicht lange, da stand ich vor dem Haus. Es schien sich nicht großartig verändert zu haben. Drinnen war Licht. Ich stellte das Motorrad ab und klingelte. Immer noch das alte verblichene Schild dem Namen.
Drinnen hörte ich schlurfende Schritte. Dann öffnete ein Mann, so ungefähr in meinem Alter, die Tür und musterte mich von oben bis unten.
Überraschender Weise spielte sich danach ab, was ich schon viele viele Male vorher erlebt hatte - allerdings gut 30 Jahre zuvor.
Er (wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, es hörte sich barsch und abweisend an): "moin, was willst Du denn!"

Ich: "moin, ich dachte, wir reden ein wenig, danach können wir ja noch etwas über die Insel fahren...
Er: "na gut, dann komm mal mit hoch!"
Ich folgte ihm und wir gingen wie vor vielen Jahren nach oben in sein Zimmer. Er wohnte immer noch in seinem Elternhaus.
Oben angekommen zauberte er von irgendwoher zwei Bierflaschen her. Wir stießen an und dann sprudelte es auch schon aus uns heraus. Wir erzählten und erzählten. Nebenbei machten wir Oelwechsel. (Bier auf Dänisch = Øl).
Mein Einwand, dass ich eigentlich nicht in mein Ferienquartier laufen wollte bügelt er ab mit einem kurzen "kannst hier pennen, ich habe noch ein weiteres Zimmer nebenan!"

Dann verschwand er kurz, brachte noch ein paar Bier und etwas zu essen mit. Er guckte etwas verschmitzt, aber das konnte auch am Bier liegen.
Eine halbe Stunde später klingelte es an der Tür. "Wer das wohl noch sein wird", brabbelte er unwirsch und stieg die Treppe hinab. Unten hörte ich laute Stimmen und dann war auch schon ein großes Gepolter: die ganze Runde von früher hatte sich in einen alten VW-Bus geschmissen und war gekommen. Die mussten sich in Windeseile zusammentelefoniert haben.
Nun ging es rund. 30 Jahre hatten wir uns in dieser Zusammensetzung nicht gesehen. Klar, dass wir alte Geschichten aufwärmten und neue erzählten. Trotzdem war wohl die am meisten verwendete Redewendung "...weißt Du noch?"

Tom meinte auf einmal, dass er noch keine richtige Weihnachtsstimmung hätte. "Dem können wir abhelfen", rief Eddi und holte aus dem Nebenzimmer eine Gitarre. Er stimmte sie schnell und oberflächlich nach Gehör, dann schlug er ein paar Akkorde an. "Stimmt!" meinte er zufrieden. "Liedwünsche?"

Ein paar zaghafte Wünsche huschten durch den Raum. Eddi begann zu spielen - und er hatte nichts verlernt. Wie früher flogen seine Finger über die Saiten - er konnte es einfach. Immer mehr Wünsche wurden geäußert. Nach jedem Bier wurde unser Mitsingen kräftiger. Jeder traute sich nun.

So blieben wir die halbe Nacht zusammen und hatten Spaß. Zu später Stunde wurde noch ein altes Tonbandgerät hervorgeholt. Eddi hatte damals recht viele Sendungen der Piratensender aufgenommen.

Für den nächsten Tag verabredeten wir eine Ausfahrt, eine "Weihnachten nach List zum Fischbrötchenessentour".

Nur 3 Leute hatten noch eine Maschine. Allerdings fuhren sie nicht mehr die alten Dinger wie früher, sondern ein modernes japanisches Gerät. Ihnen fielen allerdings fast die Augen raus, als sie meine Maschine sahen. "Du hattest doch schon mal so eine alte BMW?" fragte Tom.

"Ja," sagte ich, "es ist sogar genau die selbe".
Wie früher knatterten wir über die Insel. Diejenigen, die kein Motorrad mehr hatten, folgten mit dem VW Bus.

Wir hatten den ganzen Tag Spaß.
Ich blieb noch ein paar Tage auf der Insel und hatte viel Spaß, bereute aber nicht, damals weggezogen zu sein.
Nach einer Woche räumte ich mein Zimmer und setzte wieder mit der Fähre über. Es begann zu schneien. So war ich froh, als ich das Motorrad wieder gut im Lieferwagen verstauen konnte und nach Hause fuhr.
Weil im Radio wieder nichts Gescheites lief, steckte ich wieder meine CD in den Player.
"Going Home" - irgendwie stimmte es in dieser Richtung mehr.
Ich kam gut durch, war am frühen Nachmittag wieder zuhause. Eine Menge Post hatte meine Nachbarin für mich aufgehoben.

"Guten Rutsch!" wünschte ich ihr. "Wir können auch zusammen rutschen," entgegnete sie, "bei mir ist heute eine Fete - und Du bist herzlich eingeladen".

Klar, dass ich hingegangen bin.
Bald hatte mich der Alltag wieder. Aber der hatte sich verändert. Durch die alte BMW bin ich wieder zum Motorradfahren gekommen. Bald darauf habe ich mir dann eine weitere etwas neuere Maschine gekauft.

Ihr wisst, in welchem Board ich unterwegs bin - dann ist leicht nachzuvollziehen, um welches Fabrikat es sich handelt.

Ich habe seitdem schon viele schöne Touren unternommen. Einige führten mich dann auch wieder auf meine Heimatinsel - allerdings nicht wieder als Kombitour mit Lieferwagen und BMW, sondern auf eigenen Rädern.

Klar, dass wir dann auch wieder einige schöne Inseltouren gefahren sind.


Weihnachtszeit

Er stieg auf den Dachboden, um sich noch einen Stapel alter Motorradhefte zu holen. Als er wieder unten war, legte er noch ein paar Stücke Holz in den Kaminofen und machte es sich wieder gemütlich. Die alten Testerichte in den schon etwas abgegriffenen Zeitschriften hatten es ihm angetan. Mit Begeisterung las er, wie Klacks (Ernst Leverkus) seine Urteile über die "neumodischen" Japaner abgab, die zwar hervorragende Motoren bauten, die bis über 10 000 Umdrehungen zuließen, aber diesen wunderbaren Motoren meistens "Wackelfahrwerke" mit auf den Weg gaben.

Heute war er allein. Das fiel ihm etwas unangenehm auf, weil Weihnachten war. Eigentlich war er ganz gern allein und hatte sich nach der Scheidung richtig daran gewöhnt. So richtig allein war er meistens auch gar nicht. Er hatte eine reizende Nachbarin, eine junge Witwe, die seine Freundschaft suchte und vieles mit ihm unternahm. Und sie schien einen großen Nachholbedarf zu haben, denn häufig klopfte sie an seine Tür ... und blieb dann bis zum nächsten Morgen. Sie war nett, teilte sogar seine Vorliebe für spontane Einfälle und bot so manche Überraschung.
Sie war über die Feiertage leider nicht da, war nach Hamburg zu ihrer Mutter gefahren, um mit ihr die Feiertage zu verleben. Sie hatte natürlich an ihn gedacht, einen schönen Festtagsbraten für ihn zurückgelassen und einige kleine Pakete.

Eigentlich genoss er sein Leben und sein Alleinsein. So konnte er die Zappa-CD hören, die ihm ein Mitarbeiter geschenkt hatte und den Weihnachtsgottesdienst im dänischen Fernsehen ansehen. Keiner redete ihm drein. Keiner beschwerte sich über zuviel oder zuwenig reden, keiner hatte Anforderungen an ihn. Seine finanzielle Situation hatte sich nach der Scheidung - im Gegensatz zu vielen anderen Männern - recht positiv entwickelt. Seine Exfrau hatte eine hervorragende und gut dotierte Stelle gefunden und ging so richtig in ihrem Beruf auf. Da sie finanziell abgesichert war, brauchte er keinen Unterhalt zu bezahlen.

Fast parallel dazu hatte sich seine kleine Firma nach vielen Jahren des Kampfes und der vielen Misserfolge doch noch sehr positiv entwickelt - viel besser, als er es je erwartet hatte. Ein Auftrag kam zum nächsten und dem folgte wieder einer - und alles relativ mühelos und entspannt.

Eigentlich hätte er zufrieden sein können. War er auch - fast. Eine Sache saß wie ein Stachel in seiner Seele. Sein Sohn hatte den Kontakt zu ihm nach der Scheidung abgebrochen - und, was noch schlimmer war, er durfte auch die Enkelkinder nicht mehr sehen, ja nicht einmal einen Gruß zu Weihnachten oder zum Geburtstag schicken. Alles kam ungeöffnet zurück. Telefongespräche wurden nicht angenommen.

So hatte er auch in diesem Jahr wieder Geschenke für die beiden gekauft, aber wieder konnte er sie nicht verschenken.

Genug trübe Gedanken. Wie zur Belohnung machte er eines der kleinen Päckchen seiner Nachbarin auf. Es war eine CD. Nein, keine MusikCD, sondern eine selbstgemachte für den Computer. "Gleich mal nachsehen, was das ist", dachte er sich und ließ sie in das Laufwerk hineinfahren. Schnell das Laufwerk gewechselt- und mit einem Blick erkannt, was sich darauf befand: Bilder und Filme! Hatte doch die Nachbarin einige sehr schöne Filmschnipsel und Fotos auf die CD gebrannt, die ihn einerseits anregten, andererseits auch zeigten, dass er für die Nachbarin wohl doch etwas mehr empfand, als er sich eigentlich zugestehen wollte.
Er wollte sich gerade zur weiteren Verbesserung seiner Weihnachtsstimmung ein Glas Sekt holen, da klingelte das Telefon. Noch in der Vorwärtsbewegung in die Küche bog er scharf links ab, um das Telefon zu erreichen.
Es war BMW-Paule, ein alter Bekannter. Sie waren nicht richtig Freunde, aber trafen sich oft und telefonierten noch häufiger. Im Sommer hatten sie so manche Tour zusammen gemacht. BMW-Paule war schon guter Stimmung. Da war es klar, dass ein Scherz den nächsten jagte. Paule erzählte, dass er eine kurze Weihnachtstour unternommen hatte am Nachmittag. Seine BMW war sofort angesprungen. "Das kannst Du von Deiner Honda natürlich nicht erwarten, sagte er im Spaß, "Honda baut doch reine Sommerfahrzeuge!"
So ging die Unterhaltung noch ein wenig hin und her, bis Schluss war.

Der Sekt blieb nun doch noch in der Küche. Ein seltsames Gefühl zog ihn in die Garage, wo seine 750er Honda stand. Zwar alt, aber alles tadellos in Ordnung; kein Ölfleck auf dem Garagenboden. Sie war auch noch angemeldet, die Batterie war frisch geladen. Ob er nicht eine kleine Runde...? Getrunken hatte er noch nichts, warum also nicht?
Er ging noch einmal zurück ins Haus und zog sich an, vergaß auch nicht, alle Kerzen auszumachen.

Dann wieder in der Garage. Helm aufgesetzt, Garagentor geöffnet. Schlüssel in die Startposition, Choke gezogen, den Starter gedrückt - und - sofort nahm der Motor seine Arbeit auf. Zunächst etwas unregelmäßig, etwas rasselnd und scheppernd, dann aber zunehmend runder.

Es war kalt, aber trocken. Eigentlich gutes Fahrwetter. Naja, weit würde die Fahrt trotzdem nicht werden, es war Heiligabend und er erwartete noch so manchen Anruf.
Die Straßen waren menschenleer, trotzdem wirkten die Ortschaften nicht verlassen. Jedes erleuchtete Fenster zeigte, dass dort Menschen fröhlich Weihnachten feierten. Zwar war er ohne Ziel losgefahren, aber doch war er auf einmal auf dem Sommerweg, den er immer einschlug, wenn er BMW-Paule abholte. Warum nicht? Warum nicht einen überraschenden Weihnachtsbesuch abstatten. Paule würde sich bestimmt freuen. Der Weg schlängelte sich durch ein Waldstück. Hier war es richtig dunkel und unübersichtlich. Aber die Honda brummte zuverlässig und der frisch geputzte Scheinwerfer leuchtete die Straße zuverlässig aus. Noch acht Kilometer, dann würde er das Haus von Paule erreicht haben.
Auf einmal lief die Maschine unregelmäßig, erstarb dann fast völlig, berappelte sich noch einmal, ging dann schließlich ganz aus. Er drückte auf den Anlasserknopf. Sofort nahm der Motor seine Arbeit wieder auf, aber nur kurz. Dann war endgültig Ruhe. Was konnte das sein? Dann fiel es ihm ein: viel Sprit war bestimmt nicht mehr im Tank. Aber kein Problem, einfach umschalten auf Reserve. Mist, der Hahn stand schon auf Reserve, also war der Tank ganz leer. Und dann fiel es ihm wieder ein. Er hatte die Maschine vor 4 Wochen warmgefahren, um Ölwechsel zu machen. Da war er schon auf Reserve gewesen und hatte dann auch nicht mehr getankt.

Er bockte die Maschine erst einmal auf und nahm die Sitzbank ab. Im Werkzeugfach hatte er eine kleine Taschenlampe in Marienkäferform. Mit immer geladenen Batterien versehen hatte ihm diese Taschenlampe schon so manchen Dienst erwiesen. Doch diesmal konnte ein Leuchten in den Tank nur bestätigen, was er schon geahnt hatte: der Tank war restlos leer!
20 Meter weiter war eine Bushaltestelle mit dem obligatorischen Holzhäuschen, in dem morgens immer Schulkinder auf den Schulbus warteten. Er hatte keine Hoffnung auf einen späten Bus, sondern wollte die Maschine nur vom Straßenrand entfernen. So schob er die kurze Strecke. Alles war so still. Er konnte hören, wie die Antriebskette sich bewegte. Da er sie kürzlich gefettet hatte, gab es ein schmatzendes Geräusch, das er beim Fahren natürlich noch nie gehört hatte.

"Na gut", dachte er, "dann will ich mal den Paule anrufen, dass er mich hier abholt. Ist mir zwar ein wenig peinlich, denn er sagt, eine BMW läuft immer, aber eine Honda nur manchmal". Diesmal hätte er sogar recht.
Er griff in die linke Brusttasche - und fasste in Leere. Ausgerechnet heute hatte er vergessen, das Handy einzustecken. Dann musste er sich wohl auf einen langen Fußmarsch nach Hause machen.

Wie gut, dass er die kleine Taschenlampe dabei hatte. So hatte er jedenfalls in der Dunkelheit des Waldes ein Licht, das ihn tröstete und führte.

Da - ein Stückchen weiter im Wald war noch ein Licht zu sehen. Ihm war bisher nie aufgefallen, dass dort ein Haus stand. ... die würden doch sicher ein Telefon haben?
Also forschen Schrittes in den Wald hinein. Nun zahlte sich die Taschenlampe erst richtig aus. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass er über eine versteckte Baumwurzel stolperte und hinfiel. Er rappelte sich wieder hoch. Die Taschenlampe hatte er festgehalten. So konnte er seinen Weg gleich fortsetzen. Sein Fuß schmerzte ein wenig, aber es ging.

Bald darauf hatte er das Haus erreicht. Drinnen war nichts zu hören. Sollte er... oder lieber doch nicht??? Er fasste sich ein Herz und klopfte an die Tür. Drinnen hörte er schlurfende Schritte. Er rechnete mit einem alten Mann oder einer alten Frau, aber es war eine recht junge Frau, die die Tür einen Spalt öffnete. "Was wollen Sie?" fragte die Frau mit leiser Stimme.
Er erklärte seine Situation mit kurzen Worten und bat hereinkommen zu dürfen, um zu telefonieren. Die Frau öffnete die Tür ganz und ließ ihn herein.

Ihm fiel auf, dass sie einen Mantel anhatte. Ihre Füße steckten in Wollsocken. ... nicht sehr festlich. Während er die Nummer von Paule wählte, guckte er zu ihr rüber. Ihr Alter konnte er schlecht schätzen. Sie sah traurig aus. Die blonden Haare machten einen wirren Eindruck.
Tut - tut - wohl zwanzig Mal hatte er dieses Geräusch gehört; keiner nahm ab. Dann war Paule wohl nicht zu Hause, bestimmt war er noch zum Mitternachtsgottesdienst gegangen. Enttäuscht legte er den Hörer auf die Gabel. Obwohl er drinnen stand, war ihm kalt. Nebenan in einem weiteren Zimmer surrte ein Elektroheizlüfter. "Ist die Heizung kaputt?" fragte er in die Richtung, in der die Frau stand. Sie antwortete flüsternd und leise. Die Heizung war nicht kaputt, sondern das Öl war alle. Und sie hatte auch kein Geld für eine neue Öllieferung gehabt. Und weil sie einmal mit den Zahlungen in Rückstand geraten war, gab die Ölfirma ihr auch keinen Kredit mehr und lieferte nur noch gegen Barzahlung. Geld hatte sie nicht mehr...

Jetzt sah er erst, dass sie weinte. Sie weinte tränenlos und erzählte ihre Geschichte. Sie erzählte von ihren beiden Kindern, die drüben schliefen. Stockend erzählte sie, dass es nichts zu Weihnachten für die beiden gegeben hatte. Sie hatte es ihnen gesagt, aber die beiden dachten immer noch, das wäre nur ein Scherz gewesen und der Weihnachtsmann würde in der Nacht kommen und ihnen etwas bringen. Die beiden Mädchen hatten sich schon daran gewöhnt, dass die Mutter immer sparen musste und fast nie Geld im Hause war. Aber der Weihnachtsmann hatte in jedem Jahr noch etwas gebracht.
Sie waren eine eingeschworene Gemeinschaft. Als der Ehemann seine Familie verließ, um wieder ins Ausland zu gehen, begann die Zeit des knappen Geldes. Unterhalt bekam sie nicht. Hin und wieder verdiente sie sich etwas Geld in der Fabrik, aber das ging drauf für die notwendigsten Dinge.
Sie schien froh zu sein, alles einmal erzählen zu können. Sie hatte sich sehr abgekapselt in der letzten Zeit. Außerdem: wer arm ist, hat wenig Freunde. Zwar wurden die Mädchen manchmal zu einem Kindergeburtstag eingeladen, aber meistens gingen sie nicht hin. Sie hatten kein Geld für ein Geschenk. Auch war es der Mutter ganz recht, wenn die Mädchen nicht sahen, wie gut es andere Kinder in dem Alter hatten. Das hätte ihr schlechtes Gewissen, dass sie wegen der misslichen Lage hatte, noch verstärkt.
Ihr Besucher dachte nun auch wieder an seine eigene Lage. Nach einem Auto brauchte er nicht zu fragen, aber ein Fahrrad würde sie doch haben?
Tatsächlich, sie hatte ein Fahrrad. Er durfte es ausleihen. Er versprach, bald zurückzukommen. Er war schon lange nicht mit einem Rad gefahren. Erst kam er nur langsam voran, dann ging es schon besser. Nach einer knappen Stunde erreichte er sein Haus.
Der Geländewagen stand in der kleinen Lagerhalle. Als er das geliehene Fahrrad einladen wollte, fiel sein Blick auf das Regal und blieb an zwei großen Kunstsstoffkanistern hängen, die er immer als Reservekanister für sein Motorboot benutzte. Er stieg auf die Trittleiter, um die Kanister zu holen. Jeder fasste 20 Liter. Einer war recht schwer, schien noch halb voll zu sein. Tatsächlich. Er schraubte den Verschluss auf und spürte gleich den starken Geruch des Dieselöls. Dabei musste er immer an die Zusammensetzung denken, wie heiß es so schön? ... aromatische Kohlenwasserstoffe...
Das Öl würde für die Heizung nicht ganz reichen, aber die Tankstelle, für die er eine Kundenkarte hatte, würde für den Rest sorgen. Er ging noch einmal ins Haus, um nun auch wirklich sein Handy einzustecken und etwas Geld. Dann sah er im Vorraum die eingepackten Geschenke und wusste, dass er die Geschenke für seine Enkelkinder auch in diesem Jahr nicht brauchen würde. Er zögerte erst einen Moment, dann holte er einen leeren Wäschekorb aus dem Keller und tat die Geschenke vorsichtig hinein. Er ging in die Küche, holte da viele schöne Sachen aus seinen Vorräten und machte einen zweiten Korb damit zurecht.

Er schleppte alles in den Wagen und lud es ein.
Dann kuppelte er den Anhänger an, denn er wollte sein Motorrad damit nach Hause holen. Endlich ging es los. Er machte er einen Umweg zur Tankstelle. Es hatte natürlich keiner mehr Dienst, aber mit der Kundenkarte war es kein Problem. Er tankte den leeren Kanister ganz voll und füllte auch noch etwas in den halbvollen. Dabei war er vorsichtig und versuchte. Ein Kleckern zu vermeiden, denn verschütteter Diesel riecht noch lange im Auto.

Schon ging es weiter. Die Strecke, die er vorhin mit dem Fahrrad so mühselig geschafft hatte, war im Nu bewältigt. Im Haus war noch Licht. Wieder klopfte er vorsichtig an die Türe. Die Frau erschien. Sie hatte sogar ein Lächeln im Gesicht. "Ich dachte schon, Sie würden nicht kommen," sagte sie, "das hätte mir noch gefehlt, dass mir Weihnachten das Fahrrad geklaut wird".
Darauf antwortete er nichts, aber bat, die Tür noch etwas offen zu lassen, er müsse noch etwas holen. Er ging zurück zum Auto und schleppte die schweren Kanister zum Haus. Er ließ sich den Einfüllstutzen der Tankanlage zeigen und wollte den Inhalt der beiden Kanister hineinfüllen. Es gab jedoch hinter dem Haus kein Licht. Da fiel ihm seine Marienkäfer-Taschenlampe wieder ein. Er gab sie ihr, damit sie leuchten konnte. So ging es. Vorsichtig entleerte er erst den einen Kanister, dann den anderen. Vierzig Liter, die müssten erst einmal reichen.
Sie gingen ins Haus zurück. Er wollte wissen, wo die Heizungsanlage war. Um zu dieser zu gelangen, musste er die schmale Treppe in den Keller hinabsteigen.

Im Halbdunkel sah er schon von weitem, dass die Störungslampe am Brenner leuchtete. Der drückte auf den Entstörknopf. Der Brenner fing an, Öl anzusaugen. Er versuchte anzuspringen, ging wieder aus und hinterlies eine bläuliche Qualmwolke im Keller. Es roch nach Diesel.
"Geht wohl nicht", sagte die Frau fast flüsternd, "wäre auch zu schön gewesen".
Aber so schnell gab er nicht auf. Nach wenigen Minuten drückte er wieder auf den Entstörknopf. Wieder fing der Brenner an, Öl zu saugen, wieder zündete er, ging wieder aus, produzierte wieder eine Qualmwolke, ließ die Schornsteinklappe scheppernd auf und zu gehen - und - ging wieder aus. "Es hat wohl keinen Sinn", sagte die Frau und stieg langsam die Kellertreppe hinauf. Er aber war davon nicht überzeugt. Deshalb drückte er nach kurzer Wartezeit wieder auf den Entstörknopf. Prustend, zunächst schwankend und mit der Schornsteinklappe spielend sprang der Brenner an, um dann eine ganze Weile seine Hitze in den Heizkessel zu spucken.
Das kleine Haus würde sich bald aufgeheizt haben. Die 40 Liter würden bestimmt über die Feiertage reichen. Außerdem könnten sie ja an der Tankstelle noch etwas holen.

Nun stieg er auch die Treppe hinauf. Seine Hände rochen nach Diesel - und das war etwas, was er nicht mochte. Er bat, sich die Hände waschen zu dürfen. Sie zeigte ihm das kleine Bad. Die Heizung war richtig schnell. Das Wasser war schon ein wenig warm.
Als er sich endlich genug geschruppt hatte, fielen ihm die Sachen im Auto wieder ein. Er ging hinaus und holte alles - schließlich auch das Fahrrad.

Ihm war aufgefallen, dass die Frau gar keinen Weihnachtsbaum hatte. Aber er hatte zwei, einen in der Eingangshalle seiner Firma, einen daheim in der Wohnung.
So brach er auf zu noch einer Tour mit dem Auto. An der Bushaltestelle lud er sein Motorrad auf den Anhänger und zurrte es gut fest.

Langsam zuckelte er nach Hause und lud das Motorrad ab. Dann lief er schnell hinüber in die Firma und holte den Baum - so wie er war mit Schmuck und Lichterkette. Dann fuhr er zurück zu dem kleinen Haus im Wald. Die Freude war goß, als er mit dem Baum erschien. Sie stellten ihn zusammen im Wohnzimmer auf. Dann legten sie die Geschenke unter den Baum.

Nun spürte er die Müdigkeit. Schließlich war er schon die ganze Nacht unterwegs. Die Frau wollte nun sicherlich auch allein sein und noch etwas schlafen. Sie verabschiedeten sich voneinander.

Er fuhr nach Hause und schob noch schnell das Motorrad in die Garage. Den Geländewagen ließ er vor dem Haus stehen. Dann ging er nach oben in die Wohnung, gönnte sich noch ein Glas Sekt und fiel müde ins Bett. Am Morgen war es spät, als er aufwachte. Erst nach und nach fiel ihm ein, was letzte Nacht passiert war.
Da dachte er daran, dass er seine kleine Taschenlampe in dem Haus vergessen hatte.

Sollte er sie holen? Oder machte das den Eindruck, als wollte er sich noch einmal den Dank für das Öl und die Geschenke abholen?

Trotzdem fuhr er hin. Diesmal war es nicht ruhig im Haus, sondern freudiges Rufen war schon von weitem zu hören. Er wurde gleich ins Haus gezogen. Die beiden Mädchen erzählten, ihre Mutter wäre eine so gute Heimlichtuerin, diesmal hatten sie wirklich nicht geglaubt, etwas zu Weihnachten zu bekommen.



Vibrationen

Mit 18 Jahren kaufte ich mir eine gebrauchte 250er BMW. Eine japanische Maschine wäre mir eigentlich lieber gewesen, aber die kosteten neu über 3000 Mark, während ich für die BMW ungefähr 1/3 dieser Summe ausgegeben habe. Natürlich war es nicht nur eine Fahr-, sondern auch eine Schraubermaschine.

Das lag zum Teil daran, dass der Motor schrecklich vibrierte und viele Anbauteile einfach zerbröselten.

Trotzdem war ich mit dem Ding oft auf meiner Heimatinsel unterwegs. So auch eines Sonntags. Ich lehnte mich gerade - die Ideallinie verfolgend in eine schnuckelige Kurve, da pinkelte mir jemand ans Bein.

1000 Gedanken schossen mir durch den Kopf. Blase geplatzt - unkontrollierter Harnabgang??? Nein, dazu war die Flüssigkeit zu kalt. Bierdose in der Hosentasche gehabt? - Fehlanzeige!

Dann hatte ich die Maschine zum Stehen gebracht. Es pinkelte weiter - aus dem Tank! Der Benzinhahn war abvibriert!

Mit meinem Handschuh presste ich den Daumen in die nicht gewollte zusätzliche Tanköffnung.

Was tun? Ein paar Meter entfernt befand sich die einzige Tanke des Ortes. Aber sonntags - nicht geöffnet. ... aber da war doch Licht in der Werkstatt!

Der Tankstellenmakker hatte in seiner Werkstatt ein großes Segelboot, an dem er manchmal bastelte. Das schien meine Rettung zu sein. Mit dem Daumen im Tank schob ich die Maschine langsam bis zur Werkstatt. Die Tür stand etwas offen und ich konnte hören, wie drinnen jemand auf dem Schiff am Arbeiten war. Als er eine Pause mit seinen Geräuschen machte, rief ich: "Moin, könnten Sie mal bitte kommen?"

"Wenn Du was von mir willst, mein Jung, dann musst DU schon kommen", rief der Mann von oben.

"Na gut", sagte ich, "dann läuft aber das ganze Bezin hier aus dem Tank über den heißen Motor. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das so gut ist."

Ich habe noch nie so schnell jemanden geordnet eine Leiter hinunterkommen gesehen.

Er brachte mir dann auch gleich ein Gefäß, um das Benzin aufzufangen.

Den Tank habe ich dann mit nach Hause genommen. Mein Vater hat ihn dann gelötet.


Sitten und Gebräuche (SchluckundGluck) oder die Reparatur der Gummikuh

Wie beim Segeln, nach der Jagd und bei vielen weiteren Beschäftigungen gibt es sicherlich auch bei Motorradfahrern den Brauch, vor einer Ausfahrt dem Gott der motorradfahrenden Zunft Tribut zu zollen.
Manche machen das, indem sie in stillem Gedenken drei Mal um die Maschine laufen und einige Beschwörungsformeln murmeln, andere haben sicherlich ein anderes Rezept.
Einige, die ihren Horizont durch Sportarten wie Segeln erweitern konnten, versuchen sogar, Sitten und Gebräuche auf das Thema Motorrad zu übertragen.
Manchmal sind da natürlich auch die anderen Schuld...

Heinz hatte sich noch mit 60 Jahren ein Motorrad gekauft. Im Krieg war er mal eine Zündapp mit Beiwagen gefahren. Nun, wo er auf Rente war und für seinen Lebensabend etwas Geld gespart hatte, kaufte er sich eine alte aber noch sehr schön erhaltene BMW, eine Gummikuh mit Vollschwingenfahrwerk.
Zuerst fiel es ihm nicht so leicht, damit zu fahren, schließlich kannte er das Motorradfahren nur mit Beiwagen, aber im Laufe der Wochen gewöhnte er sich doch daran. Bald flitzte er schon ganz gut um die Ecken und hielt sich auch ein wenig an die anderen Motorradfahrer, die ihm den einen oder anderen Tipp gaben.
Es waren natürlich auch nicht ganz ernst gemeinte Ratschläge darunter, aber weil er ein gutgläubiger Mensch war, schenkte er selbst den Hinweisen Beachtung, die man eigentlich leicht als Scherz entlarven konnte, wenn man ein wenig nachdachte.

Eines Tages war er jedoch unglücklich. Es muss wohl im späten Oktober gewesen sein und schon recht kalt. Viele von uns hatten die Maschinen abgemeldet und ließen diese in einer trockenen Garage oder in einem warmen Keller überwintern. Manche Motorräder wurden auch zerlegt, um um- oder neu aufgebaut zu werden. Weil wir nicht mehr soviel auf den Straßen unterwegs waren, hatten wir natürlich etwas mehr Zeit für andere Beschäftigungen. Und wenn einer mal einen Rat brauchte, dann halfen wir natürlich mit Wort und Tat.
So kam auch Heinz mit seinem kleinen Problem. Seine Gummikuh wollte nicht mehr anspringen. Wir ließen uns erst einmal erzählen, was er schon alles probiert hatte. Mit seiner Auskunft waren wir zufrieden: Batterie ok, Sprit genug im Tank und auch sonst nichts auffälliges.
Da wir das Problem mündlich und durch gute Ratschläge nicht lösen konnten, gingen wir zu ihm rüber, um uns die Maschine selbst anzusehen. Da stand sie in der aufgeräumten und sauberen Garage. Zündschlüssel rein - die Kontrollleuchten brannten hell und klar. Licht ging auch. Die Batterie schien in Ordnung zu sein. Dann den Kickstarter mehrmals und kräftig getreten, aber nichts tat sich, nur ein leises Ansauggeräusch war zu hören. Wir wollten die Maschine nicht zum Absaufen bringen, deshalb hörten wir erst einmal mit den Startversuchen auf. Also weiter mit der Zündung, erst einmal prüfen, ob Kerzen funken. Die eine Kerze war schon ein wenig nass. Ihr sah man an, dass sie schon einige vergebliche Startversuche hinter sich hatte. Die andere Kerze sah nicht besser aus. Auch rochen die Kerzen etwas merkwürdig und fühlten sich klebrig an...
Also neue Kerzen geholt. Die waren zwar recht teuer an der Tankstelle gegenüber, aber immerhin sofort verfügbar. Die probierten wir dann gleich aus. Kerzenstecker rauf, Kerzenmasse auf den Zylinder gelegt, den Starter kräftig getreten und ? - wunderbare Zündfunken auf beiden Seiten! Problem erkannt - Problem gebannt! Kerzen wieder reingeschraubt, erst einmal handwarm angezogen. Dann wieder mit Schwung den Starter getreten. Der Motor versuchte noch nicht einmal zu laufen, hustete nur, dann war Stille. Heinz erzählte, dass er das nun schon oft so erlebt hatte. Die Kerzen hatte er jedesmal rausgeschraubt, geputzt und trocknen lassen - bis zum nächsten Versuch.
Die Zündung schien in Ordnung. An was konnte es denn sonst noch liegen? VERGASER - natürlich! Das würde nun doch ein längerer Reparaturabend werden.

BMWMotor

Benzinhahn zu. Benzinschläuche abgezogen, den alten Bingvergaser abgeschraubt. Dann zuerst das Benzin rauslaufen lassen. Benzin??? Nach Benzin sah das nicht gerade aus, das da in die leere und saubere Konservendose lief. Es roch auch nicht so richtig nach Benzin - nein, wenn es nicht so abwegig gewesen wäre, hätte ich gesagt, es würde etwas nach Likör riechen...
Dann habe ich die Vergaser gereinigt. Das wurde nun wirklich ein langer Abend!
Alle Düsen raus, alles mit Kaltreiniger gereinigt und zwar mehrmals. Immer wieder die dünnen Kanäle durchgeblasen. Irgendwie klebten die Teile, die ich aus dem Vergaser schraubte und auf ein altes Handtuch legte. "Was hast Du denn getankt", fragte ich Heinz so ganz nebenbei. Heinz stand neben mir und sah interessiert zu. Viel konnte er zu den Reparaturversuchen nicht beitragen, denn das war nicht seine Welt, als ehemaliger Kunst- und Musiklehrer war er mehr ein Mann des Geistes. "Ach, ganz normal", sagte Heinz, "Normal habe ich getankt."
Und nach einem Zögern: "naja und dann immer mal nen SchluckundGluck".
"Einen SchluckundGluck???" fragte ich entgeistert, "was für einen SchluckundGluck???".
"Naja, was alle Motorradfahrer machen," sagte Heinz, "vor jeder größeren Tour einen kleinen Schluck Schnaps in den Tank - für eine gute und unfallfreie Fahrt!"
Da fiel ich fast lang hin, wie konnte man nur auf eine so blöde Idee kommen?
"Und was hast Du in den Tank gekippt?", fragte ich. "Ach, erst immer Doppelkorn, wie mir Fritz das gesagt hat." Fritz? Na. Der war bekannt für seinen etwas schrägen Humor...
"Naja, aber dann war der Korn alle, dann habe ich den Likör genommen, den ich letztes Jahr zu Weihnachten bekommen habe. Der hat mir aber nicht geschmeckt und ich hielt es für eine gute Idee, ihn loszuwerden."
"Aber der Gummikuh soll das schmecken," neckte ich ihn.
Nun war ja wirklich klar, wie das Problem zu lösen war: beide Vergaser ganz sauber machen,
Tank leeren und reinigen, Benzinschläuche reinigen - und alles wieder montieren.
Das war an diesem Tag nicht mehr zu schaffen. Wie gut, dass der nächste Tag ein Samstag war.
Den Tank konnten wir ganz gut drüber an der Tankstelle entleeren und durchspülen. Der Tankmann konnte uns ruhig einmal einen Gefallen tun. Was wir bei dem schon alles gekauft hatten! Die Benzinschläuche habe ich gleich neu gemacht. Schwierig war es, den Benzinhahn wieder richtig zu verschrauben.
Am Nachmittag waren wir dann fertig. Wir schütteten 5 Liter Benzin aus einem Kanister in den Tank. Kaum gestartet, tuckerte die Maschine bald ruhig vor sich hin.

Dabei blieb es auch, denn Schnaps hat sie nicht mehr bekommen, und erst recht keinen Likör. Heinz hatte natürlich seinen Spitznamen weg: SchluckundGluck.

Weitere Motorradgeschichten

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